Europäische Migrationspolitik
In der allgemeinen Presseberichterstattung wird "Maastricht" gleichgesetzt mit der Wirtschafts- und Währungsunion. Dabei wird häufig vergessen, dass der Maastricht-Vertrag erstmalig einen ganz anderen Bereich in den institutionellen Rahmen der Europäischen Union eingegliedert hat: die gemeinsame Migrationspolitik. Die gemeinsame Migrationspolitik bezieht sich auf Staatsangehörige von Nicht-EU-Staaten (Drittstaatsangehörige). Sie umfasst eine gemeinsame Asyl- und Einwanderungspolitik, Politik gegenüber den Staatsangehörigen dritter Staaten und eine gemeinsame Außengrenzkontrolle (Art. K.1 EUV).
Von diesem Bereich ist
in den Römischen Verträgen von 1957 nie die Rede gewesen. Dennoch hat er sich im Zuge des Projektes "Binnenmarkt "92" in den 80er Jahren zu einem Bereich reger zwischenstaatlicher Zusammenarbeit entwickelt und ist schließlich in die sogenannte "Dritte Säule" des Maastricht Vertrags als "Angelegenheit von gemeinsamem Interesse" eingegangen. Bei der Regierungskonferenz zur Überprüfung des Maastricht-Vertrages zählte dieser Bereich zu den prioritären Themen.
Wanderungsbewegungen stehen spätestens seit Anfang der 90er Jahre hoch auf der Agenda auch internationaler Gipfeltreffen. Die zum Ausgang des 20. Jahrhunderts geschichtlich einmalige Dimension des Migrationsphänomens ist nicht nur als Funktion des ungeheuren Bevölkerungswachstums und der Zunahme gewaltsamer Konflikte in der Welt zu betrachten, sondern auch Ausdruck und Motor gestiegener weltweiter Interdependenz. Diese Interdependenz macht es für die einzelnen Nationalstaaten schwieriger, die Migration autonom zu kontrollieren. Daher gewinnt die Zusammenarbeit der EU-Staaten hier zunehmend
an Bedeutung,
auch wenn der Nationalstaat im Migrationsbereich derzeit die zentrale Steuerungsinstanz bleibt.
Der Vorsitzende der Reflexionsgruppe zur Regierungskonferenz 1996, Carlos Westendorp, zählte die "umfangreichen Bevölkerungsbewegungen, die sich besonders intensiv auf Europa auswirken", zu den wichtigen Herausforderungen für die Union. Der gewachsene Druck erfordere ein gemeinsames Vorgehen, das im übrigen auch von den Bürgern eingefordert werde. In den drei Jahren, die seit Inkrafttreten des Maastricht-Vertrags vergangen waren, hatte die Union - trotz vorhandenen Problembewusstseins auf der Ebene der Regierungschefs - diesen Anforderungen in den Augen sämtlicher Mitglieder der Reflexionsgruppe
nicht genügt. Die Gründe
für diesen Mangel und die Mittel zur Abhilfe sind jedoch strittig. Wie in anderen Bereichen der Europapolitik auch, wird die Diskussion von Schlagwörtern wie Vergemeinschaftung und Souveränität bestimmt. Der Bericht des Rates über das Funktionieren des Maastricht-Vertrages hebt bezüglich der Politikfelder Asyl, Grenzkontrollen, Einwanderung hervor, dass sie "besonders empfindlich" seien.
Das Projekt setzte sich mit der Frage auseinander, wie sich diese besondere "Empfindlichkeit" des Politikbereichs Migration auf die Gestaltung der Zusammenarbeit zwischen den EU-Staaten auswirkt. Ein gewisses Spannungsverhältnis zwischen festgestelltem Kooperationsbedarf auf europäischer Ebene und Souveränitätsansprüchen der nationalstaatlichen Ebene führt dazu, dass die Entwicklung in diesem Bereich sowohl dynamisch als auch zögerlich abläuft. Ausgangspunkt für diese theoretischen Überlegungen war eine Analyse der bisher erfolgten Bemühungen der EU-Staaten
zur Zusammenarbeit im Migrationsbereich. Diese Analyse
gliederte sich in einen Überblick über die Entwicklung der Zusammenarbeit im Migrationsbereich, die bisher erzielten Ergebnisse und die daran bislang geäußerten Kritikpunkte, sowie die europapolitische Dimension der gemeinsamen Migrationspolitik im Spannungsverhältnis zwischen Kooperationsbedarf und Souveränitätsbeharren.
Förderung: Stiftung Bevölkerung, Migration, Umwelt
Abschluss: Juni 1999
Bearbeiterin: Verónica Tomei
Veröffentlichungen:
Forum Migration 2. Friedrich Heckmann; Verónica Tomei: Freizügigkeit in Europa. Migrations- und europapolitische Aspekte des Schengener Vertrages. Europa Union Verlag, Bonn 1996
Forum Migration 3. Verónica Tomei: Europäische Migrationspolitik zwischen Kooperationszwang und Souveränitätsansprüchen. Europa Union Verlag, Bonn 1997
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