Europäisierung nationaler Migrationspolitik - Eine Studie zur Veränderung von Regieren in Europa
Die migrationspolitische Steuerungskompetenz der EU-Staaten auf nationaler Ebene ist aufgrund der transnationalen Dimensionen des Politikbereichs Migration und aufgrund der bestehenden Verflechtungen zwischen den EU-Staaten begrenzt. Zur Erweiterung der nationalstaatlichen Handlungsmöglichkeiten ist unter den Bedingungen des gemeinsamen Binnenmarktes eine migrationspoltische Kooperation zwingend erforderlich. Die Souveränitätsrelevanz des Politikbereichs Migration bestimmt das Interesse der Nationalstaaten an einer Kooperation, die ihre Handlungsautonomie in diesem Bereich nicht zu stark bindet.
Durch die Einbindung der Politikfelds Migration in den europäischen Integrationsprozess ist jedoch eine Entwicklung in Gang gesetzt worden, die diesen Politikbereich immer weniger als einen Bereich erscheinen läßt, der der ausschließlichen Entscheidungsgewalt des Nationalstaats unterliegt. Allerdings wird nationale Migrationspolitik von der europäischen Ebene weniger durch rechtliche Zwänge, als vielmehr durch politische Vereinbarungen und Praktikabilitätsüberlegungen beeinflusst.
Folgende Aspekte des Europäisierungsprozesses im Politikfeld Migration sind herausgearbeitet worden: Die vertragliche Institutionalisierung auf der europäischen Ebene, die Einbindung in den europäischen Integrationsprozess, die zunehmende Nutzung der europäischen Ebene zur Behandlung migrationspolitischer Herausforderungen, die zunehmend institutionalisierte transnationale Verwaltungskooperation und die Einbindung des nationalen Asyl- und Migrationssystems in das europäische Mehrebenensystem.
Es handelt sich hierbei um eine schrittweise Evolution des Verhältnisses zwischen nationaler Handlungsautonomie und Einbindung in die europäische Handlungsebene. Den Motor der Zusammenarbeit stellen der Informations- und Erfahrungsaustausch und die transnationale Verwaltungskooperation dar. Als Bestandteile der Entwicklungsdynamik lassen sich das Solidaritätsprinzip und ein inhärenter Reformbedarf identifizieren. Zur Verstetigung und Verfestigung der Zusammenarbeit tragen die Herausbildung einer migrationspolitischen Bürokratie europäischen Zuschnitts, zunehmende Kontinuität
der Arbeiten und die Verrechtlichung der Kooperation bei. Der hier untersuchte Europäisierungsprozess beruht auf der dauernden Interaktion zwischen europäischer und nationaler Ebene. Im Politikfeld Migration verläßt somit der politische Raum zunehmend die nationalen Grenzen und wird zum europäischen Raum.
Kurz: Transnationale soziale Prozesse wie Wanderungsbewegungen stellen die untereinander eng verflochtenen EU-Staaten vor Herausforderungen an ihre Problemlösungsfähigkeit, deren Bewältigung zur Veränderung von Regieren selbst in Kernbereichen nationalstaatlicher Souveränität führt.
Bei der zu beobachtenden Veränderung von Regieren selbst in Kernbereichen nationalstaatlicher Souveränität stellt sich die Demokratiefrage auf besonders drängende Weise. Abgesehen von grundsätzlichen Überlegungen zur Legitimationskraft des Europäischen Parlaments sprechen die noch schwach ausgestalteten Rechte des Europäischen Parlaments in diesem Politikfeld gegen die Möglichkeit einer demokratischen Legitimierung über diesen Weg. Eine Legitimierung des Europäisierungsprozesses allein über die Bewertung der damit erzielten Ergebnisse erscheint
demokratiefeindlich, weil damit die Definitionsmacht für hoch politische Fragestellungen letztlich in der Hand von Experten liegen würde. Damit bleibt vorerst nur die Möglichkeit der demokratischen Legitimierung des Europäisierungsprozesses nationaler Migrationspolitik durch begleitende Kontrolle der nationalen Parlamente.
Förderung: Stiftung Bevölkerung, Migration und Umwelt
Abschluss: 30.9.1999
Bearbeiterin: Verónica Tomei
Veröffentlichung: Forum Migration 6. Verónica Tomei: Europäisierung nationaler Migrationspolitik. Eine Studie zur Veränderung von Regieren in Europa. Lucius & Lucius, Stuttgart 2001
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